In den Tiefpunkten meines Boreouts begleitete mich diese Frage immer wieder: Wer bin ich eigentlich wirklich und wieso habe ich beschlossen, einen Weg zu gehen, der nicht meine Bestimmung ist? Wie konnte es dazu kommen, dass ich mich so weit verliere, dass ich nicht mal mehr weiß, welcher Lebensweg mir am meisten Freude bereiten würde?
Kennst du solche Gedanken? Wieso landen am häufigsten gerade Mütter an diesem Punkt? Ich will dir meine Perspektive schildern:
Weißt du, wenn du auf die Welt kommst, bist du bereits jemand. Du kommst mit verschiedenen Vorlieben, Abneigungen und Talenten in dein Leben, jedoch wirst du, wie ein Computer, in den ersten Lebensjahren mit Programmen bespielt, die einiges von dem ersetzen, was eigentlich tief in dir verankert ist. Du selbst, dein wahres Ich, wird überschrieben mit dem, was andere für Erwartungen an dich haben, was ihre Werte und Meinungen sind und was sie für richtig für dich halten.
Dabei ist es der tiefe Wunsch eines jeden Kindes, einfach als das akzeptiert zu werden, was es bereits ist.
Nicht für das, was es sein soll.
Leider schaffen es nur wenige Eltern, ihre Kinder für ihr bloßes Sein zu lieben und sie so aufwachsen zu lassen, wie sie sind. Selbst wenn Eltern das schaffen, übernimmt spätestens die Gesellschaft: Kindergarten, Schule und soziale Normen formen uns weiter.
Schon früh lernen wir, dass es als Mädchen dazugehört, einen Partner zu finden, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Dieses Bild wird oft so romantisiert, dass wir es als erstrebenswert betrachten – ohne wirklich zu hinterfragen, ob es unser eigener Traum ist. Erst wenn wir mitten im Alltag stecken, merken wir, ob diese Rolle uns erfüllt oder nicht.
Manche Frauen finden genau darin ihre Erfüllung. Und das ist wunderbar! Andere hingegen erkennen früh, dass es nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben, und korrigieren ihren Kurs. Doch dann gibt es Frauen wie mich, die lange in einer Situation verharren, die sie weder erfüllt noch glücklich macht – bis sie im Burnout oder Boreout landen. Das ist meistens dann der Fall – und da sind wir wieder bei der Eingangsfrage – wenn man nicht mehr weiß, wer man eigentlich in Wirklichkeit ist und welcher Weg im Leben zu einem passt bzw der richtige ist.
Wie stark ist dein wahres Ich überschrieben worden?
Mein eigenes Ich wurde schon sehr früh überschrieben. Ich wuchs in einer Zeit auf, in der Gehorsam und Strenge den Alltag prägten. „Einen starken Willen hat sie“, hieß es oft. Doch mein Wille wurde so häufig gebrochen, dass ich irgendwann begann, durchs Leben zu irren.
Während der Schulzeit ist meist noch alles in Ordnung, denn man bekommt seinen Lebensweg vorgegeben. Geht es dem Ende zu, verliert man sich jedoch nicht selten in der Frage, wie es weiter gehen soll und was man wirklich will. Häufig tritt man in die Fußstapfen der Eltern, denn deren Berufe sind etwas bekanntes.
Meine persönliche Geschichte dazu:
Ich wollte schon sehr früh Kinderkrankenschwester werden – wie meine Mutter. Ich machte also in der 8. Klasse mein Praktikum im Krankenhaus, jedoch nicht auf der Kinderstation, sondern auf der Inneren. Danach war ich von diesem Berufswunsch geheilt und stand erneut vor der Frage: Was kommt nach der Realschule. Wenn also der Beruf meiner Mutter nicht in Frage kam, dann doch sicher der meines Vaters. Er war Programmierer. Also absolvierte ich mein Fachabitur im Bereich Informationstechnik, studierte Informatik – und merkte schnell, dass ich hier nur den Spuren meines Vaters folgte, nicht meinen eigenen.
Ich war im zweiten Semester, als ich erneut vor der Frage stand: Wie geht es weiter und was will ich. Das erste Mal in meinem Leben bekam ich eine Antwort darauf: Ich wollte Eventmanagement studieren. Doch der Studiengang war nicht in meiner Nähe verfügbar und ich entschied mich dagegen – wegen meinem Partner.
An diesem Punkt entschied am Ende ein Trauma über meinen Weg und zwar die Beziehung zu meinem Vater. Sie ist als Frau mitentscheidend für Partnerwahl und Entscheidungen innerhalb der Partnerbeziehung. Als Kind habe ich häufig um die Anerkennung meines Vaters kämpfen müssen, indem ich versuchte, seinen Erwartungen gerecht zu werden. Das übertrug ich auf meine Partnerschaften. Ganz unbewusst versuchte ich alle Entscheidungen danach zu treffen, was mein Partner von mir erwarten könnte. Und das war sicher keine Fernbeziehung.
So studierte ich stattdessen Wirtschaft mit Fachrichtung Marketing, weil ich dort zumindest einen kleinen Teil Eventmarketing hatte und beendete mein Studium erfolgreich als Diplom-Kauffrau. Gearbeitet habe ich damit nie, denn ein anderes Muster schlich sich ein.
Zurück ins Studium: Meine Beziehung war längst beendet und ich hatte einen neuen Partner, mit dem ich ungeplant im 4. Semester mein erstes Kind bekam. Auch diese Beziehung scheiterte und ich fand nach einer Weile in eine erneute Partnerschaft, in der ich bereits nach kurzer Zeit geplant schwanger mit meinem 2. Kind war. Ich hatte also bereits zwei Kinder, als ich mein Studium abschloss. Damit war der Eventbereich für mich Geschichte und wieder stand ich an dem Punkt: Wie geht es jetzt weiter?
Ich probierte verschiedene Jobs und war sogar kurzzeitig selbstständig, aber nichts davon erfüllte mich oder gab mir das Gefühl, an richtiger Stelle zu sein. Während eines Minijobs, bei dem ich wenigstens zum Teil mit Eventplanung zu tun hatte, wurde ich überraschend mit meinem dritten Kind schwanger und war ab der Geburt dann vollständig Hausfrau und Mutter. Es folgten eine längere Trennung von meinem Mann, viele Umzüge und „Neuanfänge“, in die ich jeweils viel Hoffnung steckte, und am Ende der erneute Zusammenzug mit meinem Mann. Ich wusste nach wie vor nicht, wie ich meinen weiteren Lebensweg gestalten sollte und während ich wieder so ziellos war, schlich sich der Kinderwunsch wieder ein und ich wurde geplant wieder schwanger.
Welche Rolle spielt Erfolg?
Eins ist meinem Unterbewusstsein klar gewesen: Es gibt einen Bereich in meinem Leben, in dem ich erfolgreich sein kann und das ist die Kinderplanung. Meine Mutter hatte mir diesen Weg vorgelebt und selbst vier Kinder bekommen. Unbewusst folgte ich wieder ihren Spuren und ersetzte den beruflichen Erfolg, den ich nicht hatte, weil ich nicht wusste wer ich bin und wohin ich will, mit Kinderwunsch, der sich wieder und wieder klammheimlich in mein Bewusstsein schlich und mich manipulierte, um das Gefühl von Erfolg zu generieren.
Erfolg ist ein wichtiger Faktor im Leben. Erfolg fordert und gibt Anerkennung. Er lässt zuversichtlich und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Er gibt Perspektiven und Ziele vor. Haben wir im Leben keinen Erfolg, fühlen wir uns unsicher und haben das Gefühl, alles sei ohne Sinn.
"Der richtige Erfolg ist der, der die eigenen Ziele füttert. Nicht die der anderen."
Und wie finde ich nun raus, wer ich wirklich bin?
Bei den wenigsten Frauen ist es der Kinderwunsch, den sie beginnen zu fokussieren. Bei den meisten ist es sehr wahrscheinlich ein Job, in dem sie nicht aufgehen und der zur zusätzlichen Belastung wird. Manche arbeiten vielleicht auch gar nicht und gehen im Alltag zwischen Kindern und Haushalt unter. Es ist im Prinzip völlig egal. Wenn du an dem Punkt in deinem Leben stehst, an dem du dich dein Leben lang schon fragst, wer du eigentlich bist und wohin dein Weg gehen soll, wenn du verzweifelt und unglücklich bist, dich verloren fühlst und dein Leben keinen Sinn mehr macht, dann wird es Zeit, dass du den Weg zurück zu dir gehst und raus findest, wer du wirklich bist.
Hier ein paar Tipps für dich, wie du zu dir selbst zurück finden kannst:
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Tagebuch schreiben: Schreibe deine Gedanken, Gefühle und Erlebnisse auf. Das hilft, Muster zu erkennen und herauszufinden, was dir Freude bereitet oder dich belastet. Tagebuch schreiben ist eine hervorragende Möglichkeit zur Selbstreflexion.
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Meditation, Achtsamkeit, Atemtechniken: Verbinde dich mit deinem Inneren. Alle Techniken, die darauf abzielen, sich mit dem eigenen Körper und Geist zu beschäftigen, können einen näher an sich selbst bringen. In der Ruhe finden wir oft die Antworten auf unsere Fragen.
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Zeit für dich selbst: Verbringe bewusst Zeit allein, ohne Ablenkungen. Das stärkt die Verbindung zu deinem wahren Ich. Das fällt dir nicht leicht? Dann ist das eine gute Übung.
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Raus aus der Komfortzone: Probiere Neues aus, fordere dich heraus und überwinde Ängste. Angst hält uns oft zurück, aber sie ist kein guter Ratgeber und hält uns nur dort fest, wo wir eigentlich weg wollen.
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Selbstfürsorge: Achte auf deine Ernährung, bewege dich mehr und lerne Grenzen setzen. Alles, was du für dich selbst tust, wird dir helfen, zu dir zurück zu finden.
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Hol dir Unterstützung: Wen gibt es, der dir für einen kurzen Zeitraum die Kinder abnehmen kann? Das können dein Partner, evtl andere Personen in der Familie oder auch Unterstützung von außen sein. Um Hilfe zu bitten ist keine Schwäche, sondern zeigt, wie wichtig es dir ist, dass du stark genug für deinen Alltag mit den Kindern bleiben möchtest. Fordere dir bewusst Auszeiten ein.
Weiter Aspekte, die du unbedingt bedenken solltest:
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Hör auf dich mit anderen zu vergleichen. Besonders im Internet zeigen die meisten nur die positiven Seiten ihres Lebens. Jedoch hat jeder Mensch mit seinen eigenen Herausforderungen zu kämpfen und ist weder besser noch schlechter als du. Davon abgesehen, egal welches Leben ein anderer Mensch führt und was dieser für Entscheidungen in seinem Leben trifft, es wird dein Leben nicht ändern. Die Macht dafür hast nur du selbst und wenn du dich entscheidest, nichts zu ändern, dann wird dein Leben an dem Punkt bleiben, an dem du gerade stehst. Es ist eine bewusste Entscheidung nichts zu tun. Damit sagst du ja zu dem Leben, dass du nicht willst.
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Hab Geduld mit dir. Manchmal brauchen Veränderungen länger bis sie Wirkung zeigen. Gib nicht sofort wieder auf, sondern versuche diszipliniert weiter zu machen. Oft verschwindet Motivation an einem gewissen Punkt wieder. Das ist völlig normal und sollte kein Grund für dich sein, aufzugeben. Steh für dich selbst auf und kämpfe für ein besseres Leben.
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Versuche den Fokus weg von all den negativen Dingen im Leben zu lenken und positiver zu denken. Das heißt nicht, dass es du dich nicht mehr schlecht fühlen darfst oder rein gar keine negativen Gedanken haben darfst, aber häufig befinden wir uns in einer negativen Gedankenspirale, aus der wir kaum noch heraus kommen. Das trennt uns von unserem wahren Selbst und unterdrückt die Intuition, die aber wichtig ist, weil sie uns dabei helfen kann, den Weg zu uns zurück zu finden. Ausserdem ist die negative Gedankenspirale wie das Joggen auf einem Laufband. Sie bringt uns im Leben nicht vorwärts. Ganz im Gegenteil. Am Ende schaden wir uns selbst damit, in dem uns unsere Emotionen immer weiter runter ziehen. Mach es anders: Gib deinen negativen Gefühlen Raum. Akzeptiere sie und lass sie da sein, aber gib ihnen nicht die Macht über dich. Sie sind Teil von dir, aber genauso sind alle positiven Emotionen Teil von dir. Schau was du fütterst, denn das wird immer häufiger auftreten.
Was, wenn ich das mit diesen Tipps nicht schaffe?
Manchmal stecken wir zu tief drin und schaffen es nicht aus eigener Kraft heraus zu uns selbst zurück zu finden. Dann ist es Zeit, sich Hilfe von außen zu holen. Am besten eignet sich dafür eine systemische oder tiefenpsychologische Beratung/Therapie oder eine Selbsthilfegruppe. Bitte scheue dich nicht davor, dir Hilfe zu suchen. Auch das ist eine Möglichkeit, deinen Weg zurück zu dir zu starten.
Ich wünsche dir alles Gute
Deine Tini
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